In einer Zeit, als die Menschen das Singen mit den Sternen verlernt hatten, sass ein Mensch allein in seinen vier Wänden mitten in einer lärmigen Stadt. Er hatte seine Freude verloren. Wenn er zu früheren Zeiten gewusst hatte, wie er sich selbst nähren konnte, schien jetzt nichts mehr zu funktionieren. Er sah alles Grau in Grau ohne Aussicht auf Besserung. Antriebslos lag er auf seinem Sofa, scrollte auf seinem Handy herum. 

Manchmal gelang es dem Menschen, sich mit seiner ganzen Willenskraft dazu zu bringen, aus dem Haus zu gehen. 

Kleine Wunder säumten seinen Weg. Die rotgrün schimmernde Eidechse rief ihm zu, er solle sich der Sonne zuwenden und lächeln. Ein Baumgeist begrüsste ihn und meinte, er solle seinen Blick nach oben wenden, wo eine kleine Amsel in seinen Ästen ein einzigartiges Morgenlied sang. Löwenzahn gab sich die grösste Mühe in seinem kräftigsten Gelb zu erstrahlen und Spinne riet ihm, tief einzuatmen und die Regentropfen in ihrem Netz zu bewundern, die wie Diamanten schimmerten. 
Der Mensch nahm nichts von all den Bemühungen der Welt wahr, mit ihm in Kontakt zu treten. Er setzte sich am Flussufer auf einen Stein und stierte gedankenverloren in das Dunkelgrün des Wassers. Wäre da nicht ein dünner silberner Faden in seinem Herzen gewesen, der ihn mit der Urquelle verband, eine leise stille Hoffnung in ihm, dass auch wieder bessere Tage kommen würden, hätte er sich in den Fluss gestürzt, um der Schwere der menschlichen Existenz zu entkommen.

Plötzlich sass neben ihm eine grosse Frau, ganz in schwarze Kleider gehüllt. Sie schwieg ihn an. Der Mensch wollte nichts von ihr wissen und rückte ein bisschen weiter weg. Die Frau rückte nach und sass neben ihm wie ein Schatten. Selbst als er aufstand und einige Meter weiter sich wieder setzte, folgte sie ihm und schwieg.

«Was willst du?», fragte er schliesslich forsch.
«Die Frage ist, was willst DU?», antwortete sie.
«Ich will mich selbst zurück», rief der Mensch verzweifelt.
Die dunkle Frau lachte auf: «Und wer bist denn du?»

Der Mensch dachte lange nach. Wenn er ehrlich war, konnte er keine Antwort geben, da er es vergessen hatte. Was einmal eine klare Identität war, war nun verschwommen und voller Unsicherheit. Es gab ihn nicht mehr. Er war niemand.
Sie schwiegen sich weiter an.

 Zu seiner rechten Seite tauchte ein dünner, kleiner Mann mit grauem schütterem Haar auf. Er schien mit seinem rechten Bein zu humpeln.
«Was willst du?», fragte der Mensch direkt. Er ahnte bereits, dass er nicht davonlaufen könnte. «Und sag jetzt nicht, ich müsste wissen, was ich will, denn diese Frage führt nirgends hin.»
Der Mann antwortet leise und voller Demut:

«Ich will Heilung und kann sie nicht finden. Seit ich vor vielen Jahren meinen Fuss gebrochen habe, will er nicht genesen. Ich kann nicht mehr laufen und Sport treiben, so wie ich es früher gewohnt war. Ich habe alles ausprobiert. Alle Therapien und Ärzte können mir nicht weiterhelfen. Ich bin verzweifelt und weiss nicht mehr, wer ich bin.»

So sassen der Mann, der Mensch und die Frau zusammen am Fluss.

Ohne es zu merken, war da plötzlich Eidechse zu ihren Füssen. Sie forderte die Drei auf mitzukommen. Da der Mann und die Frau aufstanden, dachte der Mensch es könne wohl kaum schaden mitzugehen. Eidechse führte sie zu einer Höhle, in welche sie hinabstiegen. Sie hörten ein dumpfes, tiefes Grollen, welches die Wände vibrieren liess. 

Auf dem Weg in die Tiefen der Höhle sahen sie schaurige, angsteinflössende Figuren. Der Mensch fürchtete sich. Die dunkle Frau und der humpelnde Mann sangen ein Lied. Der Weg war schwach mit Fackeln beleuchtet. Sie kamen zu einem Kristall, der etwa so gross wie der Mensch war. Die drei legten ihre Hände auf ihn. Sie sahen viele Figuren darin aufleuchten. Menschen, Ausserirdische, Tiere, Pflanzen, Steine, Planeten, Drachen, Engel und Einhörner in allen Farben und Formen. Alles wurde durcheinander gewirbelt, verdampfte und löste sich in Nichts auf. Verwundert schauten sie diesem Schauspiel zu. Schliesslich wurde es im Kristall wieder ruhig. Er leuchtete klar und hell.

Da führte Eidechse die Drei zum Ausgang zurück. Der Mensch fand sich allein am Fluss sitzend.

Er spürte die Wärme der Sonne auf seinem Gesicht und jede seiner Zellen begann zu vibrieren. Löwenzahn schien heute besonders in einem starken Gelb zu leuchten. Das Lied der Amsel erfreute sein Herz und im Baum sah er einen Geist. Auf dem Spinnennetz glitzerten diamantene Perlen, die eine feine Saite in seinem Herzen zum Klingen brachten. Ein klitzekleines Lächeln zauberte sich auf sein Gesicht.

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