Während Josias, der rote Drache sich in der Pyramide ausruhte, gab es für die Frau keine Ruhe. Zu sehr war sie in die Welt der Menschen eingetreten, hatte Aufgaben übernommen, traf sich mit anderen Menschen zum Lernen und zum Lehren. Sie hatte kaum Zeit, um zur Pyramide zu wandern und sich telepathisch mit Josias zu verbinden. Auch sie war müde, und als dann noch eine Grippe sie heimsuchte, wusste sie, dass sie weniger tun musste. Also tat sie es. Sie stand ganz zu ihrer einzigartigen Art zu sehen und zu sein. Lustigerweise akzeptierten die Menschen das, denn sie spürten, hier war jemand, der zu sich und seiner Wahrheit stand. Das fand Respekt.

Dennoch ging sie ab und zu zum Bänklein bei der Pyramide und versuchte, den Drachen zu erreichen. Josias war allerdings tief eingeschlafen und sie konnte nicht mit ihm kommunizieren. Tief in ihrem Innern wusste sie ganz genau, dass sie am kürzesten Tag zur Wintersonnenwende aufgerufen war, Wasser von der Quelle zur Pyramide zu tragen und die Geburt des Lichts zu bezeugen. Sie hatte einige Freunde dazu eingeladen, schlussendlich waren drei gekommen und sie hielt mit ihnen das Ritual ab. Der weisse Hund war auch dabei.

Als sie sich am Ende des Rituals energetisch sich mit der Pyramide verbanden, öffnete sich plötzlich deren Nordseite. Sie standen überrascht da. Alles schien zu zittern und zu beben. Zwei große Portale öffneten sich zur Seite und goldenes Licht schien aus der Pyramide heraus. Die Frau und ihre Freunde erschraken nicht schlecht, wurden sie doch ganz in diesem goldenen Licht gebadet und davon geblendet. Aber der weiße Hund, der sonst im Allgemeinen eher ängstlich war, blieb ganz ruhig liegen und schien dem Ganzen keine besondere Bedeutung zuzumessen. Weiterhin strömte Licht aus der Pyramide und die Freunde staunten zutiefst berührt davon. Gleichzeitig kam eine wunderbare Ruhe über sie und sie wussten, sie waren jetzt Zeugen eines ganz besonderen Vorgangs.

Da sahen sie einen goldenen Drachenkopf aus der Pyramide hervorlugen. Er blinzelte und war ganz verschlafen. Er kam langsam aus der Pyramide herausgekrochen. Er war etwas feucht und seine Flügel waren an seinem Körper wie angeklebt. Er schüttelte sich und da erkannte die Frau, dass es Josias war. Der Drache, der vor einem Jahr genau an dieser Stelle frisch geschlüpft war, dunkelblau und klein. Der Drache, der dann davongeflogen war und versucht hatte, den Menschen sein Lied vorzusingen, und der Drache, der müde heimgekehrt war vor einigen Wochen. Und dennoch war es nicht mehr derselbe Drache. Er war jetzt golden und viel größer. Er brummte einmal sehr laut und ein bisschen Feuer kam aus seinen Nüstern heraus. Da erst sah er die vier Freunde und den Hund zuoberst auf der Pyramide stehen und begann laut zu lachen.

„So ein Wunder, dass ihr genau heute da steht, wo neu ich geboren werde. Ich grüße euch, liebe Freunde, denn ich kenne euch seit Urzeiten und ihr kennt mich. Ich danke euch für euer Wirken und für euer Dasein an diesem besonderen Tag, da ich als goldener Drache der Weisheit neu geschlüpft bin.“

Die vier Freunde wunderten sich nicht schlecht, dass der Drache einfach so sprach.

„So wird denn heute das goldene Licht neu geboren und ihr dürft es in euch aufnehmen. Kommt, setzt euch zu mir, wir wollen ein bisschen zusammen die schöne Sternennacht genießen.“

Sie setzten sich zu dem goldenen Drachen der Weisheit und lauschten seinem Gesang. Er erzählte ihnen davon, dass sich nun vieles auf der Erde wandeln würde. Immer mehr und mehr Menschen würden zu ihren Herzen und zu ihrer Intuition erwachen und wahrnehmen, dass im Grunde alles eins ist. Aus dieser Erkenntnis würden die Menschen aufhören, einander zu bekriegen. Die Erde selbst werde in goldenem Glanz erstrahlen und die Aufgabe der Menschen sei es, diesen goldenen Glanz in ihren Alltag einzuweben – durch Lieder, durch Geschichten und Gedichte, durch offene Ohren den Mitmenschen gegenüber, durch Tänze und feines Essen, durch Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit.

Der goldene Drache, der jetzt nicht mehr Josias genannt werden wollte, griff mit seinen Tatzen in sein goldenes Herz, welches durch transparente Häute gut sichtbar war. Es schlug im Gleichklang mit dem Herzschlag von Mutter Erde. Er nahm daraus ein wenig goldenen Glitzerstaub und ließ ihn über jeden der vier Freunde rieseln, ebenso wie über den Hund. Weitere Wesen gesellten sich zu den Freunden: Engel und Zwerge, Tiere des Waldes und Elfen, Sylphen und Nymphen. Alle waren sie Zeugen dieses besonderen Vorgangs im abgelegenen Drachental. Eine tiefe und bedingungslose Liebe durchströmte alle Wesen. Sie spürten tief in sich die Wahrheit, dass nichts im Universum je verloren gehen würde. So waren auch die Ahnen der vier Freunde zugegen und freuten sich ungemein, dass diese heilige Begegnung am heutigen Wintersonnenwendetag geschehen durfte.

Als immer mehr Sterne auf das Geschehen leuchteten, begannen sich die ätherischen Wesen zurückzuziehen. Auch der goldene Drache wurde immer durchsichtiger. Er wusste nicht recht, ob er zurück in die Pyramide sollte. Er hatte geplant erst im Frühling loszufliegen. Aber etwas rief ihn, sich bereits jetzt sich auf den Weg machen zu machen, um den Menschen seine Lieder vorzusingen. Da hatte die Frau mit dem weißen Hund eine Idee. Zusammen mit ihren Freunden umringten sie den goldenen Drachen und sangen ein tiefes und wahrhaftiges Weisheitslied für ihn. Durch diesen Gesang begann das goldene Herz in der Pyramide erneut zu schlagen. Dieses Herz verband sich mit dem Herz des goldenen Drachens und sollte für immer mit ihm in Verbindung bleiben. Es würde hier im Tal bleiben und in der Pyramide weiter kräftig schlagen. Es war angebunden an die goldenen Linien von Mutter Erde.

„Ich werde nun meine Flügel trocknen lassen und davonfliegen“, sagte der Drache. „Du, liebe Frau mit dem weißen Hund, und deine Freunde, ihr seid ab heute meine Herzhüterin hier im Tal der Dracheneier. Ich werde meine Lieder nochmals den Menschen, die bereit sind, meinen Gesang zu hören, vorsingen. So kann ihr Herz sich weiten und öffnen für die Wahrheit, dass alles eins ist. Wenn der Frühling sich in eurem Tal zeigt, werde ich zurückkehren und dir meinen neuen Namen verraten, den ich bis dahin gefunden haben werde. Ich danke euch allen für diese unglaubliche Magie, die heute geschehen durfte.“

Der goldene Drache der Weisheit schüttelte sich noch einmal, dann hob er ab und flog in die Sternennacht davon. Der große Taldrache, der liebevoll alles beobachtet hatte, schickte ihm einen grollenden Gruß hinterher.

Die Frau und ihre Freunde schüttelten sich ebenfalls und waren voller Freude darüber, was sie heute bezeugen durften. Auch sie spürten, wie ihr Herz ein bisschen goldener schlug als noch vor ein paar Stunden.